Verklemmtheit wird Freiheit
So richtigen Sex gibt es nicht in diesem Buch – dazu ist der Hauptdarsteller noch zu jung. 12, 13 Jahre, also in dem Alter, in dem man den Sex gerade mal entdeckt. Da die Geschichte aber im Bayern der frühen Siebziger spielt und seine Familie erzkatholisch ist – man könnte auch sagen verklemmt und spießig und lustfeindlich – weiß Peter nur leider gar nicht, dass es da etwas zu entdecken gibt. Er ist so ahnungslos, dass er nicht mal weiß, dass Frauen Haare zwischen den Beinen wachsen und nicht irgendeine Art weiblicher Penis, ein Frauenzipfel, wie er es nennt. Für solche Ideen wird er regelmäßig verlacht von seinen Schulkameraden, und sogar der Pfarrer kann bei der Beichte nicht an sich halten. Aber Peter bringt sich immer wieder mit ausgedachten Geschichten ins Gespräch und in den Mittelpunkt zurück.
Sex gibt es nicht in Peters Familie
Weil er ihn das Thema nicht loslässt und er ein aufgewecktes Kerlchen ist, beschließt Peter den Sex zu erfinden, ohne genau zu wissen was er da erfinden will und ohne es benennen zu können. Seine Eltern kann er so was nicht fragen. Lange Zeit führt er Gespräche „darüber“ nur mit einer Postkarte der Muttergottes, später dann mit einem großen Plakat von Franz Josef Strauß, das über seinem Bett hängt – und die sagen ihm natürlich auch nichts, was er nicht irgendwie schon weiß.
So zeigt das Buch eindrücklich, welchen Schaden Eltern anrichten, die ihren Kindern Freiheit und Aufklärung verweigern, ob gutgemeint oder aus Feigheit. Hier im Buch ergibt das ein großes Lesevergnügen, denn erstens ist der kleine Peter ein Erzähltalent, dem man stundenlang zuhören kann. … wie er von langer Hand plant, sich einen Nagel in den Fuß zu treten, um nicht mit auf den sonntäglichen Familienausflug zu müssen, sondern unbemerkt in Vaters Arbeitszimmer im Lexikon verlockend klingende unbekannte Wörter nachzuschlagen kann, die er in einem speziellen Heft notiert hat: Beischlaf und Empfängnis, Unzucht, Porno und Freikörperkulturverein.
Irgendwann weiß auch er, was da ist
Zum Glück sind nicht alle so wie Peters Eltern, so streng und bigott, spießig und verklemmt, lustfeindlich und unempathisch. Er hat freundliche Lehrer und trifft eine pragmatische Zeitungfrau, die ihm Schmuddelheftchen überlässt. Und seine Mitschülerinnen und Mitschüler scheinen deutlich mehr zu wissen über das, was er erst zu erfinden plant. Irgendwann merkt auch Peter, dass es Sex längst gibt: Als nämlich, nah der Mutter Gottes und nach FJS, sein Unterleib derjenige ist, der mit ihm spricht. Dann nehmen die Geschichte und die Handlung noch mal deutlich Fahrt auf und die Erfindung wird vom Erfinder auch ganz praktisch eingesetzt.
Fazit
Wer in den 70er Jahren so jung war wie Peter, wird sich an vieles erinnern. Für alle die jünger sind ist seine Geschichte eine Zeitreise. Und jeder und jede wird sich beim Lesen erinnern an die Zeit, als man selbst so alt war wie Peter und für sich selber den Sex erfinden musste. Auch wenn es vielleicht – und hoffentlich – nicht so turbulent und verklemmt, so fantasievoll und ereignisreich zugegangen ist wir hier im Buch. Ein klasse Roman und beste Unterhaltung.
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