Lesbische Liebe mit 1950er-Jahre-Charme
Thérèse, 17 Jahre alt, ist neu in einem katholischen Mädcheninternat, irgendwo in Frankreich, irgendwann in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Ihre Mutter hat wieder geheiratet und sie wurde, so fühlt es sich für sie an, hierher abgeschoben. Sie will sich partout nicht heimisch fühlen und ist allem feindselig gegenüber eingestellt. Das Mädchen im Bett neben ihr, Isabelle, ist ein Jahr älter und beinahe schon eine richtige Frau. Eine tolle Frau. Thérèse hasst sie. Und kann trotzdem nicht aufhören, sie zu beobachten und an sie zu denken.
Aus Hassliebe wird Sex
Dann kommt die Nacht, in der Isabelle Thérèse zu sich ins Bett holt und die beiden sich der „erotischen Mädchenliebe“ hingeben. So nennt es der Klappentext des Buches und so wird man es vielleicht auch in den 50er Jahren genannt haben, in denen die Geschichte spielt. Als das Buch circa 1960 das erste Mal erschien, wurde es stark gekürzt und nur zensiert veröffentlicht. Mädchenliebe war skandalös. Dieses hier ist die unzensierte Version. „Ein überwältigender Knaller“, so der Klappentext weiter.
Der aber nicht so richtig zündet.
Vielleicht, weil ein Buch über „Mädchenliebe“ in den heutigen Zeiten voller Sexromane und frei zugänglicher Pornofilme, der Ehe für alle und Regenbogenfamilien einfach kein wirklicher Knaller mehr ist. Oder mehr zu bieten haben muss als nur ein einst skandalöses Thema.
Viel Handlung gibt es nicht, eigentlich sind es drei aneinandergereihte sehr, sehr lange Sexszenen. Auf eine Art geschrieben, die wohl poetisch und bildhaft gemeint ist, aber sich als ziemlich sperrig erweist. Viele der Metaphern erschließen sich nicht im Lesefluss, man muss aktiv darüber nachdenken, was gemeint sein könnte.
Too much information
Die beiden Mädchen entdecken sich gegenseitig von Kopf bis Fuß, kein Körperteil wird ausgelassen. Diese Genauigkeit ist einerseits interessant, andererseits ist es eher abtörnend, wenn zum Beispiel die Schmatzgeräusche beim Speichelaustausch genau beschrieben werden. Dass kein erotisches Flirren aufkommt, liegt vielleicht auch an der Konstellation, dass Thérèse nicht wirklich zu genießen scheint. Sie lässt Isabell machen, aber weil eben Thérèse die Erzählerin ist, wirkt alles sehr passiv. Und ständig hat sie Angst erwischt zu werden.
Fazit
Was mal revolutionär war kann auch langweilig oder eben normal sein, wenn die Revolution vorbei ist. So kommt es einem bei diesem Buch vor. Als Sittenbild der 50er Jahre ist es durchaus interessant - und wer verschraubte Poesie mag, wird mit dem Roman zumindest literarisch warm. Erotische Hochgefühle werden sich beim Lesen kaum einstellen.
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