Ein Roman, der die Unmöglichkeit versucht, Humor mit Sex zu verbinden
Tom Perrotta richtet sich in seinem Vorwort an uns Leser und Leserinnen und versichert, dass er – obwohl er selbst ein Mann in den besten Jahren ist – sich gut in die Psyche einer Frau Mitte 40 hineinversetzen kann. Das „Empty-Nest“ Syndrom und das alles, was einen in den mittleren Jahren so umtreibt, kennt er auch. Aber der Reihe nach. Alles beginnt damit, dass sich Eves Mann vor einigen Jahren von ihr getrennt hat, weil er sich in eine jüngere Frau verliebt hat. Natürlich. Nun muss sie ihren Sohn in sein neues College-Leben verabschieden und das ist – natürlich – ein harter Einschnitt im Leben einer Mutter, die nun ganz allein in dem großen Haus zurückbleibt.
Eine Frau in den mittleren Jahren
Doch Eve nimmt sich vor, am College wieder ein paar Kurse zu belegen. Gesagt getan, es ist nur noch ein Kurs zum Thema Gender und Gesellschaft frei. Ihre Professorin, das merkt sie erst spät, war mal ein Mann, ist aber nun eine Frau – also eine sehr gute Lehrmeisterin in Sachen Gender. Die Männer in ihrem Kurs sind allesamt uninteressant. Außer vielleicht Julian, wenn Eve 19 oder 20 Jahre jung wäre… Dann gibt es ja in dem Seniorencenter, das Eve leitet, noch die nette Kollegin Amanda. Nach langem Hin und Her verabreden sich die beiden Frauen zum Dinner. Als Eve der jüngeren Kollegin einen Kuss auf dem Mund gibt, ist das Entsetzen groß und die Scham ebenso. Es soll noch einige Zeit dauern, bis sie sich zusammen mit Amanda und Julian in dem ehemaligen Kinderzimmer ihres Sohnes bei einem Dreier wiederfindet. Und das Timing könnte nicht knapper sein, denn Brendan – Eves Sohn – hat sich entschlossen am College alles hinzuschmeißen und einfach nach Hause zu kommen. Und wieder ist das Entsetzen groß und die Scham auch, denn die drei waren gerade „fertig“, als Brendan in sein Zimmer kommt und Julian noch in seinem Bett vorfindet.
Doch zu ihrem weiteren Glück hat Brendan ohnehin andere Sorgen. Das wilde College-Leben mit Alkohol-Exzessen und vielen sexhungrigen Mädchen ist doch nicht so, wie er sich das gedacht hat. Im Gegenteil, und die Respektlosigkeit mit der er die Mädchen behandelt, wird ihm schnell zum Verhängnis. Und er selbst wird zu einer großen Enttäuschung, wie das ganze College bald erfahren soll.
Alle denken an Sex, die wenigsten haben ihn
Bei allem Nachgrübeln über Sex – sowohl bei Eve und Amanda als auch bei Brendan und Julian – spart Tom Perrotta meist mit Einzelheiten, wenn einer unserer tragischen Helden Sex tatsächlich hat. Im Großen und Ganzen überspringt er es und geht – im Fall von Eve – eigentlich gleich zur fatalen Wirkung über. Also zu dem unmittelbar einsetzenden schlechten Gewissen. Wie auch zu der außerordentlich nervigen Eigenart dieser Frau, vorgefasste, hart erarbeitete Meinungen und Handlungsvorgaben im Handumdrehen wieder über Bord zu werfen. Nur um sich dann, nach dem Zuwiderhandeln, wochenlang mit Betrachtungen im Für und Wider zu quälen.
Dabei sucht Tom Perrottas 46-jährige Heldin nichts sehnlicher als ihre eigene persönliche Erfüllung – mit wem auch immer. Nie in ihrem Vorleben lesbisch oder bi-interessiert, kann sie sich Hals- über Kopf in ein Techtelmechtel mit einer jüngeren Kollegin stürzen. Sie schaut „MILF“-Porno-Videos im Internet – und wird mit der Zeit sogar regelrecht süchtig danach – liebäugelt sogar mit dem jungen Julian, der genauso alt ist wie ihr Sohn, der aber scharf auf sie ist und auch recht attraktiv. Und hey, da ist immerhin einer, der sich für sie interessiert. Eves Selbstbewusstsein krebst also am unteren Rand der Skala, wenn es denn eine dafür gäbe. Und ihr sprunghaftes sexuelles Interesse vermag man auch nicht so recht nachvollziehen. Aber vielleicht ist dies auch Absicht des Autors, der das Groteske an den zum Teil recht peinlichen Situationen hervorheben möchte.
Kurz, dies ist weniger ein erotischer Roman, als ein Roman, der die Unmöglichkeit versucht, Humor mit Sex zu verbinden. Das Ergebnis ist natürlich auch mal witzig, dann auch mal bissig-ironisch bis tragisch, aber wirklich nicht prickelnd im erotischen Sinne. Ein bisschen wie bei Woody Allen, dessen Helden auch stets gefangen sind zwischen ihren sexuellen Fantasien und ihren Zwängen und Hemmungen, die – wenn es doch mal so weit kommt – lieber kneifen, als die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Damit sind beide ja eigentlich sehr nahe am wahren Leben. Wer diese Art von Humor teilt, amüsiert hinschaut, wo andere lieber wegschauen würden, der hat hier eine unterhaltsame und zuweilen auch interessante Lektüre.
Wer jedoch hofft, in diesem Buch mitzuerleben, wie eine Frau Mitte Vierzig ihre eigene sexuelle Erweckung erlebt – mit allen „MILF“ Attributen inklusive – wird enttäuscht sein. Für die eher unbedarften Leser und Leserinnen sei noch angemerkt, dass einige Abkürzungen vorkommen, die man lieber nicht googeln sollte. Das ist aber auch schon das „Pikanteste“ an diesem Roman, der auch gut in die belletristische Abteilung passen würde.
Der Roman zur amerikanischen Serie
Nicht zuletzt wird Tom Perrottas „Mrs Fletcher“ 2019 als Comedy-Fernsehserie in den USA ausgestrahlt. Mit Kathryn Hahn in der Hauptrolle wurde die Serie von HBO in Serienreihenfolge gegeben. Vielleicht findet die Serie auch den Weg nach Deutschland. Man darf gespannt sein, wie das Thema filmisch umgesetzt wird.
Fazit
Mrs Fletcher macht sich auf die Suche nach der sexuellen Erfüllung, nach Bestätigung und Glück – und ist dabei nicht wählerisch. Auch wenn man als Leser manchmal die Arme in Luft werfen möchte, weil die Frau einen verrückt macht mit ihren tausend Abwägungen, ist es doch eine ironisch-witzige Abrechnung mit den „besten Jahren“ einer Frau. Tom Perrotta präsentiert uns hier keinen erotischen Roman mit pikanten Details, sondern wagt den Balanceakt zwischen sexuellen Gelüsten und einer ganz besonderen Art von Humor.
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