Hingabe
- S. Fischer
- Erschienen: Januar 2021
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Eva Scharenberg (Übersetzung)
Die Schöne und das Biest
Selten schickt ein Klappentext Leserinnen und Leser so in die falsche Richtung wie dieser: „Auf einmal ist Suiza da in dem spanischen Dorf und verdreht allen Männern mit ihrer blonden Zartheit den Kopf. Angeblich kommt Suiza aus der Schweiz, genau weiß man das nicht, denn sie spricht kein Spanisch. Besonders der einzelgängerische, etwas raubeinige Großbauer Tomás ist elektrisiert …“
Das stimmt zwar schon, irgendwie. Tomas ist der größte Landwirt am Ort, er hat keine Frau. Und Suiza ist ein reizendes, zartes, scheues blondes Wesen. Aber: Wer weiß, was sie auf ihrem Weg hierher alles erlebt hat? Und was ihr in Tomas‘ Dorf passiert ist kein hingebungsvolles Rumvögeln unter spanischer Sonne in schöner Dorflandschaft.
Böser Wolf und dummes Lämmchen
Denn Tomas ist kein Womanizer a la sexy einsamer Wolf, sondern eher Typ Incel. Wenn er sich „das junge Mädchen packt, das sich ihm wortlos hingibt“, dann nicht, weil er alle Tricks draufhat, sie in den siebten Himmel zu küssen und zu vögeln. Sondern weil sie Angst hat und es nicht anders kennt. Und: Am Anfang der Geschichte erfährt Tomas, dass er fortgeschrittenen Lungenkrebs hat. Er erzählt aus der Rückschau – das ist nicht gespoilert, weil er selbst mit dem Thema seine Geschichte beginnt, „dass die Leute sagen werden, Gewalt und Probleme lägen mir in den Genen“ – dass die Geschichte über ihn und seine Suiza tödlich enden wird. Mit dem, was in den Zeitungen dann als Familiendrama, Verbrechen aus Leidenschaft oder Verzweiflungstat beschrieben wird. Obwohl es Mord ist.
Die ganze Geschichte, die dann folgt, ist eine Erklärung dafür, was er am Ende zu tun plant: nämlich seine Suiza umzubringen, als sie schwanger ist, weil er ja bald an seinem Krebs sterben wird. Sie mag zwar gut im Bett sein, und in der Küche, „schenkt ihm ihren Körper, kümmert sich hingebungsvoll um ihn, verwandelt seinen verwahrlosten Hof in eine Wohnstatt, gibt ihm endlich das Gefühl, zu jemandem zu gehören“. Aus seiner Sicht ist sie aber doch leider zu blöd und zu unfähig, ohne ihn an seiner Seite für das Baby zu sorgen.
Machtmissbrauch statt wahrer Liebe
So richtig warm wird man mit beiden Charakteren nicht. Mit Tomas sowieso nicht, aber auch nicht mit Suiza. Die scheint wirklich nicht die Hellste zu sein und nicht viel mehr als Kuchenbacken, Kulleraugen und ihren Körper zu bieten zu haben. Die Sexszenen sind durchaus lesenswert, auf ihre schwermütige Art gut beschrieben. Krankheit und Tod, Operationsnarben und Schwäche lassen den Akt aber nie lebensfroh wirken.
Zwischen der Diagnose und der Entscheidung, seine Freundin zu ermorden, liegen viele Seiten Roman. Interessant und außergewöhnlich geschrieben. Aber nicht gut zu lesen. Nicht gut zu haben. Oder nur dann gut zu haben, wenn der Leser und die Leserin ausblenden kann, dass das, was der Titel mit „Hingabe“ ankündigt, doch eher „rape culture“ ist – Machtmissbrauch und Gewalt idealisiert als wahre, reine, tiefe Liebe und Fürsorglichkeit.
Das Biest und die Schöne, in der Tat, ein klassisches Thema durch alle Epochen. Aber je öfter und gefühliger das nach wie vor in Geschichten aller Art verbreitet wird, desto schwieriger ist es, für Betroffene – Opfer und Täter – zu erkennen und zu benennen, was wirklich passiert.
Fazit
Ein fesselndes Buch, aber absolut kein Genuss. Und zwar nicht, weil so viele schreckliche und traurige Dinge passieren. Sondern weil diese schrecklichen, traurigen Dinge als reine Liebe dargestellt werden und dass der Fakt, dass Tomas seine Suiza lieber erschießt als sie allein zu lassen, als Akt der reinen Liebe und Hingabe dargestellt wird. Wo es doch einfach nur ein Mord aus falsch verstandener Männlichkeit ist.
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