Buchgewordene Männerfantasie
„Die Geschichte der O“, erschienen 1954, war damals ein Riesenerfolg, lange Zeit der erfolgreichste französische Roman im Ausland. Heute gilt das Buch als Klassiker.
Wer die Autorin war, bleib lange ungewiss und geheim. Auch ob diese Pauline Reage tatsächlich eine Frau war. Heute weiß man, wer hinter dem Pseudonym stand. Eine französische Journalistin, die dieses Buch heimlich geschrieben hat, als Geschenk für ihren Geliebten, einen sehr viel älteren und verheirateten Mann, einen Verleger, der unter anderem die Bücher des Marquis des Sade neu herausgegeben hatte. Dass es ihm gefiel, über diese Art des Sex zu lesen, wusste sie offenbar.
Ein Buch für Männerfantasien
Und genau das ist die Geschichte der O auch: eine buchgewordene Männerfantasie. In der eine junge Frau von ihrem Liebhaber auf ein Schloss gebracht und dort zur Sexsklavin ausgebildet wird. Man könnte auch sagen: vergewaltigt, erniedrigt, gefoltert, gefesselt und angekettet, ausgepeitscht, eingesperrt, wochenlang. Und all das hat sie dauerhaft nackt zu absolvieren und auf halsbrecherisch hohen „Pantöffelchen“.
Liest man das Buch als Frau, denkt man sich an mancher Stelle, merken die Männer denn das nicht? Das ist doch totaler Quatsch, so denkt doch keine Frau. Aber vielleicht ist es so wie andersherum mit typischen Frauenbüchern, in denen ja auch klar ist, das es in echt solche Männer nicht gibt. Wie bei „Fifty Shades of Grey“, der neue Klassiker des 21. Jahrhunderts zu dem Thema SM-Sex.
Literarisch spielt „Die Geschichte der O“ in einer ganz anderen Liga, aber: Christian Grey als reicher, schöner, verletzlicher Mann, der nichts anderes im Sinn hat, als seiner Ana Lust zu verschaffen und kaum an sich selbst denkt, ist genauso buchgewordene Frauenfantasie wie O eben buchgewordene Männerfantasie ist. Solche beflissene Orgasmushandwerker wie Herrn Grey dürfte es in echt kaum geben.
Wenig Sex, viel Gewalt
Genauso wenig wie es Frauen gibt wie O, die als eine Art lebendige Gummipuppe alles mit sich machen lassen, freiwillig, freudig, wohlgemerkt und dann auch noch denken, es sei wahre Liebe.
Anders als bei Christian und Ana haben O und Rene und Sir Stephen allerdings wenig wirklich explizit beschriebenen Sex. Es wird mehr geschlagen und gepeitscht. Und auch das Baden, Cremen, Schminken und nackt mit offenen Beinen rumsitzen und „bereit sein“, nimmt sehr viel mehr Raum ein als der eigentliche Sex. Auch und gerade für das Thema Kleidung sollte empfänglich sein, wer dieses Buch genießen will. Seitenlang und immer wieder geht es um Schnitte und Stoffe, hauchzarte Hemden mit Steppbordüre, um Röcke aus schwarzem Faille mit kleinen Valencienne-Spitzen, durchsichtige Wollröcke mit Sonnenplissee, um eng am Oberkörper liegende Mieder und Kleider aus dicken Seidenbahnen, die sich um die Beine bauschen. Wichtig ist immer, dass es halb durchsichtig ist und das man es schnell öffnen oder direkt drunterfassen kann.
Dann kommen die Männer, Os Geliebter Rene, ihr Besitzer Sir Stephen, deren Freunde und Kollegen und „bedienen sich ihres Mundes, ihre Lenden und ihrer Mitte“. Viel mehr Details gibt es da nicht. Es wird auch nie beschrieben, das einer der Beteiligten dabei Lust oder Vergnügen empfindet. Lustvoller und ausführlicher wird der Sex beschrieben, den O mit anderen Frauen hat, Freundinnen, Kolleginnen.
Besessen werden wird gleichgesetzt mit Liebe
Denn nach der Ausbildung in Roissy ist O in ihren Alltag zurückgekehrt. Aber immer mal wieder lässt sich sich zu Sex-Fortbildungen in verschiedene Etablissments schicken, um sich dort noch mehr versklaven und in Besitz nehmen zu lassen. Um – in ihrer Gedankenwelt – noch mehr geliebt zu werden. Denn, so sieht sie es, wenn ihr geliebter Sir Stephen sie als ihr Eigentum kennzeichnet, mit Intimpiercings, die so groß und schwer sind, dass sie kaum richtig laufen kann, wenn er ihr mit Brandeisen seine Initialen auf den Hintern prägt, wenn er sie so besitzen will, dann muss er sie doch wohl lieben? Und wenn er sie liebt, dann muss sie wohl was Besonderes sein …. hach.
Schön blöd, das merkt O am Ende selbst. Als die Spielchen sich nicht mehr steigern lassen, lässt seine Faszination für O schlagartig nach. Das verwunschene Sex-Zauberschlösschen Roissy ist auf einmal nur noch ein stinknormales Edel-Bordell, in dem O arbeiten kann – oder auch nicht, ihre Entscheidung. Sir Stephen verlässt sie und sie will nur noch sterben.
Fazit
„Die Geschichte der O“ ist ein Klassiker und durchaus interessant. Wer es mag von harter Gewalt zu lesen und sehr viel von Frauenkleidern, zarten Stoffen und raffinierten Schnitten, wird daran auch seine erotische Freude haben.
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