Kommt etwas schwer in Gang
Los Angeles, 1954: Hedi Belle, gefeierter Hollywoodstar, sitzt wegen Mordes im Gefängnis. Viele Journalisten haben sie um ein Interview gebeten, aber sie hat bisher alles abgelehnt. Nun sitzt ihr Noah Goldenblatt gegenüber, und Hedi kann es sich nicht erklären, aber sie beginnt, ihm ihre Geschichte zu erzählen, die im Jahr 1927 in Berlin beginnt.
Hedi wächst in dem Bordell ihrer Großmutter Minna auf. Dort arbeiten Colette, die für ein eigenes Bordell in Paris spart, und Natalia, die als Domina ihre Freier bestraft. Es ist kein einfaches Leben und Autorin Anna Basener erzählt die Geschichte ohne Beschönigungen.
Gut recherchiert, aber eher kein erotischer Blick hinter die Kulissen
Das Ambiente wirkt trist und brutal, regelrecht abstoßend. Dadurch fällt es einem als Leser schwer, sich in die Schilderungen fallen zu lassen oder sich mit den Charakteren zu identifizieren. Allerdings sind die Figuren sehr authentisch beschrieben wie zum Beispiel Minna, die robust mit Zigarillo im Mundwinkel berlinert.
Es gibt zwei Erzählebenen, 1927 und 1954, und die Handlung ist fast auf nur zwei Spielorte begrenzt: das Bordell „Ritze“ und die Besucherzelle im Gefängnis, wodurch man den Eindruck eines Kammerspiels gewinnt.
Zu Beginn passiert nicht allzu viel, und dieser Eindruck zieht sich leider über die Hälfte des Romans, so dass der fade Beigeschmack der Eintönigkeit und Langeweile entsteht. Obwohl das Leben im Bordell beschrieben wird, wird kaum Sex erwähnt und wenn, dann ist er eher brutal und gewalttätig, geschäftlich und ohne jede Erotik.
Erst mit den Briefen, die Hedi an Noah schreibt, gewinnt die Geschichte an Offenheit und Verletzlichkeit. Ihre Worte erfassen den Leser zum ersten Mal. Auch Emil, der zur Mitte des Buchs auftritt, bringt trotz seines schwierigen Charakters mehr Sympathie in die Erzählung; aber auch er ist eine gefallene, finstere Figur.
Der historische Hintergrund ist gut recherchiert und erzählt. Die Zeit Ende der 20er-Jahre war hemmungslos und schnelllebig, angereichert mit skrupelloser Gewalt und bedenkenlosem Drogenkonsum. Das ist realistisch eingefangen - und man spürt förmlich den klebrigen Boden in der Kneipe oder die Winterkälte, die Eisblumen an den Fenstern wachsen lässt.
Obwohl die Zeit „Die Goldenen Zwanziger“ genannt wurde, gab es viel Armut und Trostlosigkeit, was beides nüchtern, aber wirklichkeitsnah, dargestellt ist. Nur wenig schillert und glitzert es in dem Roman und wenn, dann ist der Preis sehr hoch.
Fazit:
Anna Basener hat trotz des anrüchigen Ambientes weniger einen Erotikroman, sondern mehr einen Historienroman geschrieben, der sich mit der schwierigen Situation der verschiedenen Sexanbieter zur Zeit der 20er-Jahre in Berlin beschäftigt.
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