06.2020 Sigrid Tinz im Gespräch Katja Lewina, Autorin von „Sie hat Bock“.
"Ich bin dafür, dass jede*r von uns lernt, das zu machen, was sich wirklich gut anfühlt, und nicht das, was Pornos, Frauenzeitschriften, Schulhof oder Eltern uns beigebracht haben."
Erotik-Couch: „Sie hat Bock“ heißt Ihr aktuelles Buch. Was hat Sie bewogen, es zu schreiben – und worum geht es genau? Jede Leserin hat ja vermutlich ihre individuellen Assoziationen, wenn sie den Titel hört.
Katja Lewina: In „Sie hat Bock“ demontiere ich Mythen und Klischees rund um weibliche Sexualität. Dass Frauen — im Gegensatz zum immergeilen Mann — das lustlosere Geschlecht seien, ist Teil davon. Dabei können Frauen auch Bock haben, und wie! Warum wird im Porno so viel geblasen, aber kaum geleckt? Warum hält sich der Mythos vom schwer zu erreichenden weiblichen Orgasmus so hartnäckig? Wieso ist es so wichtig, mit wie vielen Männern eine Frau geschlafen hat? Heterosexueller Sex steckt voller Sexismus, und dagegen wollte ich anschreiben.
Erotik-Couch: Über Sex schreiben“ ist so etwas wie Ihr Beruf, Sie sind laut Klappentext „freie Autorin für alles von Herren- bis Familienmagazin“. Ist das Ihr Traumberuf, und wie und warum wird man „sowas“?
Katja Lewina: Dass ich „sowas“ geworden bin, überrascht mich ehrlich gesagt auch immer wieder. Vor ein paar Jahren habe ich angefangen, über meine offene Beziehung zu schreiben, weil ich zeigen wollte, wie viel mehr noch jenseits tradierter Beziehungsmodelle geht. Das war ganz unbedarft und ohne große Ambitionen. Aber dann kamen mehr und mehr Jobs zusammen, neue Themen aus dem Beziehungs- und Sexkosmos, und irgendwann merkte ich: Huch, davon kann man ja leben! Und ja, das macht mich wahnsinnig glücklich.
Erotik-Couch: Sie schreiben außerdem nicht nur explizit über weiblichen Sex, sondern auch sehr explizit über Ihre eigenen Erlebnisse. Um mit den Worten Ihrer Mutter zu sprechen, die Sie an einer Stelle zitieren: „Macht es Ihnen nichts aus, über all diese intimen Dinge in der Öffentlichkeit zu reden?“ Vor allem, weil Sie ja auch durchaus all das erwähnen, was nicht so gut gelaufen ist.
Katja Lewina: Je mehr ich von mir zeige, desto freier werde ich, und desto tiefer werden meine Beziehungen — das ist jedenfalls meine Erfahrung. Ich habe in meinem privaten Umfeld schon lange das Bedürfnis verloren, irgendetwas von mir zurückzuhalten. Intimitäten mit der Öffentlichkeit zu teilen, war da nur ein logischer Schritt. Ich bin mir sicher, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn es keine Geheimnisse gäbe und jede*r alles von jeder*jedem wissen dürfte.
Erotik-Couch: In Ihren Texten kommt – klar – viel bis sehr viel Sex vor, aber im weitesten Sinne als Sachtext und sehr gesellschaftspolitisch und das auch bis ins Detail. Zum Beispiel gibt es ein ganzes Kapitel darüber, welche Worte es für die Geschlechtsteile so gibt. Warum ist das richtige Wort fürs Unaussprechliche so wichtig und welches wäre das richtige überhaupt?
Katja Lewina: Ich kenne keine Frau, die ein Wort für ihr Genital hat, das sie von Herzen gern benutzt — alles, was wir haben, ist wahlweise abwertend, verniedlichend, klinisch oder künstlich; viele Menschen bringen die Begriffe „Vagina“ und „Vulva“ durcheinander. Aber wie sollen wir über etwas reden, für das es nicht einmal einen ordentlichen Begriff gibt? Sprache spiegelt nicht nur Machtverhältnisse, sie zementiert sie auch. Nicht umsonst nennt die Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal die Vulva „das unsichtbare Geschlecht“.
Erotik-Couch: Insgesamt gehen Sie mit der aktuellen Situation zur weiblichen Sexualität kritisch ins Gericht, egal ob es um Menstruation, MeToo oder den Dominant-Devot-Trend geht, der weniger mit sexueller Erfüllung als mit dem jahrtausende üblichen Rollenmodell zu tun hat. Wenn jetzt eine gute Fee käme und Sie dürften die Welt und unser Sexleben so zaubern wie Sie möchten, wie sähe es dann aus?
Katja Lewina: Ich bin dafür, dass jede*r von uns lernt, das zu machen, was sich wirklich gut anfühlt, und nicht das, was Pornos, Frauenzeitschriften, Schulhof oder Eltern uns beigebracht haben. Und ich bin für unbedingten Konsens! Im Eifer des Gefechts merkt man oft nicht, wie man jemandes Grenzen übergeht, darum sollten Fragen wie „Darf ich …“ Standart sein.
Erotik-Couch: „Leserin“ – habe ich oben wie selbstverständlich gesagt, vermutlich weil es im Buch explizit um weiblichen Sex geht. Können, dürfen, sollen es denn auch Männer lesen?
Katja Lewina: Die meisten Männer meiden Bücher wie meins wie die Pest — vermutlich aus Angst, ihr eigenes Verhalten hinterfragen zu müssen. Aber gerade deswegen sollten sie es lesen! Guten, gleichberechtigten Sex bekommen wir nur gemeinsam hin.
Das Interview führte Sigrid Tinz im Juni2020.
Foto © Lucas Hasselmann
Neue Kommentare